Dr. Wolfgang Kraushaars Vortrag über den Werdegang von Wilfried Böse besuchten am 5. Juli trotz erheblicher Veranstaltungs-Konkurrenz im großen Hörsaal der theologischen Fakultät etwa 50 – 60 sehr interessierte Zuhörer, die ihr Kommen nicht bereuten:

 

 

 

Im Rahmen des 50-jähigen Jubiläums des Dientzenhofer-Gymnasiums referierte der renommierte Hamburger Wissenschaftler und Experte zum Linksterrorismus der 70er und 80er Jahre über den ehemaligen DG´ler. Wilfried Böse wurde vor ziemlich genau 40 Jahren von dem israelischen Befreiungskommando getötet, das die Geiseln der Flugzeugentführung nach Entebbe befreite.

 

 

 

Nach kurzen Begrüßungen durch die Gastgeberin, Prof. Dr. Sabine Freitag vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bamberg, unserer Schulleiterin OStDin Brigitte Cleary und Rafael Rempe, dem Initiator des Vortrags, zeichnete Dr. Kraushaar Böses Entwicklung in dessen Stationen Bamberg, Ansbach, Freiburg und Frankfurt bis ca. 1971 nach. Aus Gesprächen mit Böses Frankfurter Weggefährten Michael Schwarz konnte er an neuen Details vorbringen, dass die beiden Freunde schon 1969 in Frankfurt die Vorführung eines äußerst unkritischen Hollywood-Films über den Vietnamkrieg unterbanden, indem sie Farbeier gegen die Leinwand warfen. Wilfried Böse habe kurz darauf eine Hauptrolle dabei gespielt, eine Vorlesung von Theodor W. Adorno an der Frankfurter Universität abzubrechen, indem er dem bedeutenden Vertreter der „Frankfurter Schule“ in einem hitzigen Wortgefecht Praxisferne vorwarf.

 

 

 

Ein wichtiges Kapitel im Vortrag nahm die Frage ein, ob und inwiefern die Selektion der israelisch-jüdischen Geiseln, die Böse im Juni 1976 in Entebbe vornahm, antisemitisch gewesen sei. Kraushaar ordnete Böses Vorgehen ein als zwar nicht intentional, aber doch praktisch antisemitisch: Das heißt, der Terrorist habe persönlich nie eine judenfeindliche Einstellung und Absicht vertreten, sondern sah sein Handeln als gegen die israelische Regierungspolitik gerichtet. De facto habe er mit der Selektion aber antisemitisch gehandelt.

 

 

 

Zum Abschluss sprach Kraushaar dem Handeln Böses während der Flugzeugentführung nicht alle positiv menschlichen Züge ab – Böse unterhielt sich mehrfach erstaunlich freundlich mit Geiseln, diskutierte sogar mit ihnen, schoss kurz vor seinem Tod zu Beginn der Befreiungsaktion nicht auf die Geiseln, obwohl er wohl noch die Möglichkeit dazu hatte. Die Verbrechen Böses seien aber keineswegs zu entschuldigen oder zu verharmlosen.

 

 

 

In der anschließenden Fragerunde beeindruckte Dr. Wolfgang Kraushaar die Zuhörer mit seinem äußerst umfangreichen, auch in tiefe Details reichenden Wissen zu Wilfried Böse, der von ihm mitgegründeten Terrorgruppe „Revolutionäre Zelle“ (RZ) und dem Linksterrorismus der 70er Jahre allgemein.

 

 

 

Mit seinem Vortrag über den ehemaligen DG-Schüler leistete Kraushaar auf höchstem wissenschaftlichen Niveau und aktuellstem Stand einen wichtigen Beitrag zu einer – leider nicht in positivem Sinne - wesentlichen Figur unserer Schulgeschichte.