Verlag "Roter Stern" und dessen Umfeld

Sehr wichtig war für Wilfried Böse in Frankfurt die Begegnung mit K.D. Wolff, der 1967/68 Bundesvorsitzender des SDS gewesen war. Bei praktisch allen linken Frankfurter Gruppierungen, denen sich Böse anschloss oder die er mitbegründete, war K.D. Wolff eine wichtige, wohl die führende Person - mit einer Ausnahme: Mit seinem Verlagsmitarbeiter Michel Leiner schloss sich Wolff wohl nie der RZ an. Vielleicht schon 1969, sicherlich aber in den Folgejahren zählten Wolff, Böse und weitere Mitstreiter zum engeren und radikalen Unterstützerkreis der RAF, wie die Aussagen von RAF-Terrorist Gerhard Müller im Stammheim-Prozess 1976 bezeugen.

 

K.D. Wolff

 

Nach Wolfgang Kraushaar war K.D. (Karl Dietrich)Wolff, geboren 1943, eine der führenden Kräfte in der APO und der Studentenbewegung. Auch seine Brüder Reinhart und Frank spielten dort eine wichtige Rolle. K.D. Wolff studierte Jura, wechselte 1967 als neuer Bundesvorsitzender des SDS seinen Studienort und kam von Freiburg im Breisgau nach Frankfurt (wohl zwei Jahre vor Böse).

Wolff vertrat eine sehr eigenständige, markante linke Position, mit der er an vielen Stellen aneckte: So übte er bei den IX. Weltjugendspielen in Sofa (Sportveranstaltung des Ostblocks) 1968 scharfe Kritik an den Veranstaltern und den Verhältnissen im Ostblock. Bis zum September 1968 war er Bundesvorsitzender des SDS. Im Februar 1969 unternahm er eine sechswöchige Nordamerikareise und knüpfte dort enge Kontakte zu den militanten Black Panther, die sich in seiner weiteren Arbeit in Frankfurt niederschlagen sollten (siehe später). Wegen seiner politischen Aktivitäten während der Reise wurde Wolff vor den Untersuchungsausschuss des US-Senats gerufen und trat dort keineswegs defensiv auf, sondern sehr selbstbewusst und scharf: Er beschimpfte den konservativen, anwesenden US-Senator Strom Thurmond als "Banditen" und „Rassistenschwein" und behauptete: „Ich vertrete nicht nur meine eigene Meinung, sondern die der gesamten Menschheit." (Kraushaar 585) Im Juni 1969 führte Wolff den pro-palästinensischen Protest gegen den israelischen Botschafter Ben-Natan an, dessen Vortrag in Frankfurt durch Sprechchöre verhindert wurde. Ben-Natan hatte sich geweigert, einen Neonazi- Vorwurf gegen APO-Demonstranten zurückzunehmen, die sich im Nahostkonflikt zunehmend eindeutig gegen die israelische Politik gewandt hatten.

Am 13.7.1969 verbrachten Andreas Baader und Gudrun Ensslin angesichts ihrer vorübergehenden Haftverschonung (Haft wegen Kaufhausbrandstiftung) die erste Nacht in Freiheit bei K.D. Wolff - noch war die RAF nicht gegründet und hatte keinen Mord begangen.

Am 8.11.1969 wurden aus Protest gegen den Vietnamkrieg 28 Scheiben im Frankfurter Amerika-Haus eingeworfen. Unter anderen waren K.D. Wolff, Johannes Weinrich, Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit bei dieser Aktion dabei (Siemens 184). Eine geplante Demonstration gegen den Vietnamkrieg am 15.11. wurde wegen der Gewalt eine Woche zuvor verboten, fand aber doch statt und endete in Gewalt, verbunden mit einigen Festnahmen. Als Veranstalter der verbotenen Demonstration wurden K.D. Wolff und Johannes Weinrich von der Polizei für die Ausschreitungen verantwortlich gemacht und am 24.12.1969 zu einem Jahr und neun Monaten Haft (auf Bewährung) wegen Aufruhr, Landfriedensbruch und Rädelsführerschaft bei einer nicht genehmigten Demonstration verurteilt. Ob Böse bei diesem Ereignis schon eine Rolle spielte, ist nicht bekannt.

Wie weit Wolff zum Beispiel im Rahmen der "Roten Hilfe" die RAF und deren Terror unterstützte, ist unklar. Wolff selbst äußert sich nicht dazu, sondern verweist darauf, dass er an einer Autobiographie arbeite. Er ist mittlerweile wegen seiner Verlagstätigkeit eine hoch geschätzte Figur des deutschen Kulturlebens und wurde unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

 

Der Verlag "Roter Stern"

 

Im Mai 1970 erfolgte ein erstes Buchprojekt mit gemeinsamem Vorwort der späteren vier Verlagsgründer K.D. Wolff, Michael Schwarz (Böses Freund aus Freiburger Tagen), Johannes Weinrich und Wilfried Böse: Sie gaben im März-Verlag eine Neuausgabe des Buches „Das politische Grundwissen des jungen Kommunisten" aus dem Jahr 1927 heraus. Später im Jahr gründeten sie den neuen Verlag "Roter Stern", der in den Anfangsjahren linksradikal ausgerichtet war und bald auch Magdalena Kopp und Michel Leiner als Mitarbeiter aufnahm. Michael Schwarz hat wohl nie eine wichtige Rolle im Verlag gespielt, und als sich die RZ bildete, trennten sich auch die anderen Gründer des Verlags: Während Böse, Weinrich und Kopp ihren Schwerpunkt bei der RZ setzten, blieben Wolff und Leiner die führenden Verlagsmitarbeiter, richteten den Verlag zunehmend literarisch aus und machten sich mit qualitativ hochwertigen Literaturausgaben einen Namen. Ihr Verlag lebt unter dem Namen Stroemfeld-Verlag fort; beide arbeiten heute noch führend mit.

 

Nordkorea


Zu den ersten Veröffentlichungen des Verlags gehörten - neben weiteren kommunistischen und sozialistischen Werken - Schriften von Kim Il Sung, dem damaligen Diktator Nordkoreas

(Vgl. Kopp 48f.). Wolff und Böse waren Mitgründer eines Korea-Komitees, das intensive Kontakte mit der nordkoreanischen Botschaft in Ost-Berlin knüpfte und von dort möglicherweise sogar Gelder bezog. Besonders K.D. Wolf vertrat sehr vehement die nordkoreanische Juche-Idee, das Ideal einer radikalen Autarkie. (Vgl. ebd.) „Über den ehemaligen SDS-Vorsitzenden K.D. Wolff, Lektor bei März und später Gründer des Verlags Roter Stern (...) sowie über andere Teile der Frankfurter Szene (.. .) wurden 1969/70 jedenfalls erste Fäden nach Algier oder Pjönjang gesponnen. Aus diesem antiimperialistischen Kontakthof gingen später einige der trübsten Charakterfiguren des deutschen Terrorismus hervor, die sich — wie der Entebbe-Attentäter Wilfried Böse oder der „Carlos"-Gehilfe Johannes Weinrich — professionell in die Aktivitäten der nahöstlichen Terrorgruppen und Geheimdienste einspannen ließen und mit besonderer, mörderischer Hingabe dem Kampf gegen den „Zionismus" verschrieben.  Da war man dann so ziemlich im Herzen der Finsternis angekommen. " (Koenen, Vesper, S. 264)

Wolff soll im September 1970 mit zwei Begleiterinnen sechs Wochen lang nach Nordkorea gereist sein; und auch Böse soll laut Klein (Vgl. Klein 172) kurz danach in Nordkorea gewesen sein. (Vgl. Kraushaar 590)

Dies ist auch insofern interessant, dass seit 1972 ein Kontaktversuch der RAF zu Nordkorea bekannt ist, und zwar ausgehend von Ulrike Meinhof, für die wahrscheinlich der Verlag Roter Stern vermittelte. (Vgl. Kraushaar 590f.)

Kurzer Zwischenkommentar

Betrachtet man den „Steinzeitkommunismus" , der sich in Nordkorea schon früh entwickelt hatte und der dieses Land heute zu einem der ärmsten Länder der Welt hat werden lassen, dann erscheinen die Irrwege des Verlags „Roter Stern" und seiner Hauptvertreter Wolff, Böse und Weinrich in dieser Hinsicht nur umso verrückter und absurder. Damals wie heute herrscht in Nordkorea massive politische Unterdrückung. Trotz der großen wirtschaftlichen Not und Zurückgebliebenheit wurde eine Atombombe entwickelt. Es benötigte schon eine gehörige Portion politischer Blindheit, das kommunistische Regime Nordkoreas als attraktiv wahrzunehmen — erst recht, wenn sich Wolff und Böse vor Ort auch noch ein Bild der Verhältnisse gemacht hatten.


Mitarbeit im Verlag

 

Bei der ersten Veröffentlichung des Verlags Roter Stern übernahm Kopp die Vergrößerung von Bildern und entwickelte Filme. Sie und Leiner arbeiteten immer professioneller für den Verlag „Roter Stern" als Graphiker und durch Fotoarbeiten. 1973 wurden sie fest angestellt und zogen in das Verlagshaus ein.

1973 wurde dieses Verlagshaus in der Holzhausenstraße 4 (noch heute Sitz des Stroemfeld-Verlags) wohl von Böse gekauft, der die kaufmännische Seite des Verlags unter seine Fittiche nahm und dabei großes Geschick bewies. Neben den Verlagsräumlichkeiten war noch Platz für mehrere Wohnungen, die Wolff, Kopp/Leiner und Böse/Kuhlmann bezogen. Brigitte Kuhlmann hat dort aber nur gewohnt, nicht für den Verlag gearbeitet. Johannes Weinrich führte eine Filiale in Bochum. Die Trennung des Paares Kopp-Leiner (Kopp wurde die Partnerin von Weinrich) und der Streit über politische Differenzen (wohl die Gründung der RZ) führten dann zum Ende der "Wohngemeinschaft" in der Holzhausenstraße.

 

Versuch eines Fazits zu Wolff und "Roter Stern" bezüglich Böses

 

Leider ist es uns nicht gelungen, K.D. Wolff oder Michel Leiner oder Magdalena Kopp zu (noch) genaueren Auskünften zu bewegen. K.D. Wolff, möglicherweise eine Schlüsselfigur für Böses Lebensweg, arbeitet nach eigener Auskunft an einer Autobiographie und möchte der nicht vorgreifen. Der für seine sehr beachtliche Verlagsarbeit mit dem Bundesverdienstkreuz geehrte Frankfurter Verleger sollte den Maßstab von Transparenz und Ehrlichkeit, den er in der Zeit der Studentenbewegung von der Generation seiner Eltern eingefordert hat, möglichst schnell auch selbst einhalten.

Es bleibt in Bezug auf K.D. Wolff allerdings festzuhalten: Sein demokratisches Engagement in den späten 60er Jahren ist auch aus heutiger Sicht recht gut verständlich und nachvollziehbar; sein Mut und sein kritischer Geist haben möglicherweise zur Verwurzelung der Demokratie in der Bundesrepublik einiges und sogar Wichtiges beigetragen.

Wahrscheinlich war er zu Beginn der 70er Jahre mit Böse auf einem Weg in maßlose politische Radikalität und ungerechtfertigtes Handeln, hat aber noch vor der Verwicklung in schwere Verbrechen und damit einigermaßen rechtzeitig halbwegs angemessene Distanz dazu gewahrt. In Bezug auf Black Panther, Gaiganz, RAF und wohl auch PFLP hat er einiges bei Böse angestoßen und zu dessen Weg in den Terror beigetragen - ohne dass hier Böses Eigenverantwortlichkeit übersehen werden soll.

Böse rutschte spätestens in Frankfurt tief in terroristische Kreise. Dass er sehr früh und intensiv bedeutenden Anteil am deutschen Linksterrorismus hatte, wird in den nächsten Unterkapiteln noch ausführlich dargelegt. Festzuhalten ist schon an dieser Stelle die — äußerst freundlich und vorsichtig formuliert - „Unbedarftheit" gegenüber Juden und Israel, die die gesamte Frankfurter linke Szene bis 1976 zeigte („Häuserkampf" gegen jüdische "Bodenspekulation", Straßentheaterfigur des „bösen Kapitalisten"; Proteste gegen israelischen Botschafter) - für Böse offensichtlich die Vorbereitung auf seinen Einsatz für die palästinensische Sache und auf die Entebbe-Entführung mitsamt ihrer „Selektion".